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Bernd Koschitzki und die Sache mit dem Vaterland

Dann war ich mal kurz arbeitslos – eine Erfahrung, die ich auch unseren Politikern wünschen würde, damit sie mal merken, wovon sie eigentlich reden.  Nach einer kurzen, langweiligen Tätigkeit als Steuerfachgehilfe war ich ein Jahr für eine bayrische Investmentgesellschaft tätig. Aber Steuervermeidung für die Reichen des Landes  war auf Dauer auch nichts für mich. In die IT-Branche reingekommen bin ich als Gesellschafter einer Nachfolge-Firma von Robotron. Für die fünf Prozent der Anteile habe ich meine gesamten Ersparnisse zusammengekratzt und meine Lebensversicherung aufgelöst.

 … sein IT-Unternehmen, das „anders als andere“ ist. 

2003 habe ich mit zwei alten Kollegen mein eigenes Unternehmen gegründet, die Integris Dresden. In den ersten zehn Jahren gab es eine 50-Prozent-Beteiligung des Geschäftsführers der CSS aus Fulda. Ohne seine Unterstützung wäre das nicht möglich gewesen. Seit 2013 stehen wir als INTEGRIS LIMS GmbH komplett auf eigenen Beinen und entwickeln mit um die 30 Mitarbeitern Software für Labore. Wir haben versucht, eine Firma aufzubauen, die anders ist als andere, die das Soziale und Ökologische in den Mittelpunkt stellt. Vor einigen Jahren haben wir ein Bürogebäude an der Kesselsdorfer Straße gekauft, unweit der A17, und 500 Quadratmeter Solar auf das Dach gesetzt. Wer von den Mitarbeitern ein E-Auto hat, kann in der Firma umsonst laden, so dass der Arbeitsweg für den Betreffenden kostenlos ist. Für Heizung und Kühlung haben wir auch ressourcenschonende Lösungen implementiert. Außerdem gibt es bei uns eine Streuobstwiese und fünf Bienenvölker. Die Imkerei hat mein Freund und Prokurist, mit dem ich nun seit mehr als 25 Jahren zusammen arbeite, ins Unternehmen gebracht.

… seinen Ausstieg aus dem aktiven Berufsleben.

Ich bin mit 67 planmäßig in den Ruhestand gegangen. Die Leitung der Firma liegt bei meinen beiden Söhnen, unserem Prokuristen und dem zweiten Geschäftsführer. Ein sehr kreativer junger Kollege, dem ich auf Grund seiner Leistungen 10% der Anteile zum ursprünglichen Nennwert überlassen habe. Ich halte noch 31 Prozent der Anteile und man lädt mich auch mal ein, um meine Meinung zu hören, aber die Entscheidungen trifft die heutige Führung. Und das ist wunderbar. Ich wollte nie einer von diesen Firmenpatriarchen sein, die mit 85 noch das Sagen für sich beanspruchen und Käse erzählen, während sie hinter ihrem Rücken schon bemitleidet werden. Lieber lerne ich auch in meinem Alter nochmal was Neues und nehme mir Zeit für die Dinge, die früher zu kurz gekommen sind. Zum Beispiel habe ich einen Tauchkurs gemacht und reise mit meiner Frau viel. So geht es diesen Herbst nach Japan. Genau genommen habe ich schon vor zwölf Jahren begonnen, kürzer zu treten, als nämlich meine Enkelin geboren wurde. 

Da habe ich mir jede Woche einen halben Opa-Tag gegönnt, aus dem dann ein ganzer wurde. Heute habe ich drei Enkel, entsprechend wurde auch die Opa-Zeit immer länger …

... Vaterlandsgefühle.

Der DDR fühlte ich mich mehr verbunden als dem heutigen Deutschland. Der Zusammenhalt war im Osten wegen der geringeren Einkommensunterschiede einfach viel größer als heute. Ich habe damals in Gorbitz gewohnt, sechste Etage ohne Fahrstuhl. Bei uns gab es jedes Jahr eine Silvesterfeier, eine Faschingsfeier. Es war ein Miteinander.

Dann kam die Wende und dieselben Leute haben nach und nach aufgehört, miteinander zu reden. Einer kam mit der neuen Zeit überhaupt nicht zurecht, wurde arbeitslos und hat sich aufgehängt. Einer stand eines Tages mit einem Mercedes S-Klasse vor der Tür und hatte Angst, dass die anderen neidisch werden. Der gewachsene und immer weiter wachsende Unterschied zwischen Arm und Reich ist etwas, was mir jeden Tag von Neuem aufstößt. In der DDR gab es keine Obdachlosigkeit oder die Sorge, ob man wohl seine Miete noch bezahlen kann. Und es gab auch keine milliardenteuren Yachten, gebaut mit Geld, das definitiv nicht aus Arbeit stammt. Insofern war meine Identifikation mit der DDR als Vaterland durchaus größer als mit dem Deutschland von heute.

 … das Bild der West- von den Ostdeutschen.

Ehe ich in Rente gegangen bin, habe ich mit dem Geschäftsführer von einem Kunden in Hamburg gesprochen. Da hat er mir gesagt, wie sehr er mich einerseits bewundert und gleichzeitig bedauert für meine schwere Kindheit in der DDR, weil wir dermaßen drangsaliert wurden. Das war für mich schwer zu glauben, aber das ist das Bild, das man im Westen vom Osten hat. Ich kann nur sagen, dass ich eine tolle Kindheit hatte. Ich würde sagen, dass es uns mindestens so gut ging wie den Kindern im Westen, wenn nicht besser.

 … die menschlichen Schwächen von KI.

Viele regen sich darüber auf, dass KI halluziniert, dass sie falsche Angaben macht und Dinge erfindet. Aber warum soll ich alles glauben, was ich von einer Maschine zur Antwort bekomme, wenn ich sie etwas frage? Das würde ich bei einem Menschen doch auch nicht. Ich sehe solche menschlichen Züge bei Maschinen eher positiv. Neulich habe ich ChatGPT gefragt, warum Polen das einzige osteuropäische Land bei der Fußball-EM der Frauen 2025 ist. Das liege daran, war die Auskunft, dass in Osteuropa weniger Geld in den Frauenfußball gesteckt wird, der Spielbetrieb deshalb eher auf Amateurniveau läuft und die Nationalmannschaften schon in der Qualifikation zu den großen Turnieren scheitern. Polen, so hieß es, sei nur dabei, weil die EM in Polen stattfinde und der Gastgeber automatisches Startrecht habe. Auf meinen Einwand, dass die EM nicht in Polen, sondern in der Schweiz ausgetragen wird, kam als Antwort: Oh, danke für den Hinweis. Da habe ich mich geirrt, selbstverständlich hast du recht.

 … die Offenheit der Geschichte.

Die Wende in der DDR und die 1990er Jahre waren eine verpasste Chance, zu einer gerechteren Welt zu kommen. Aber mit Sicherheit nicht die letzte. Diese Erkenntnis verdanke ich meiner Oma Erna. Als ich damals zur NVA gegangen bin, hat sie mich zur Rede gestellt: Junge, wie kannst du dich denn mit der Wehrmacht einlassen? Volksarmee, Wehrmacht – das hat sie nicht interessiert. Jedenfalls meinte sie, mir ins Gewissen reden zu müssen: Man müsse immer bedenken, dass sich der Wind auch wieder dreht, und was dann? Ich habe ihr geantwortet: Oma, wir leben im Sozialismus und das ist jetzt die Gesellschaftsordnung, die sich durchsetzen wird und in den Kommunismus übergeht. Alles andere stirbt nach und nach ab. Aber Oma Erna wusste es besser. Sie wurde 103 Jahre alt,  hat das Kaiserreich erlebt, die Weimarer Republik, die Nazis, die DDR und auch noch den Westen. Jedes Mal dachten viele: Das ist jetzt für immer. Und jedes Mal kam es anders.