Dynamo im Herzen
Der Aufstieg von Dynamo Dresden hat auch in den Reihen der BSW-Stadtratsfraktion für Jubel gesorgt. Aber das kann ja jeder sagen. Gerade in der Politik wird gern versucht, Stimmungen für eigene Zwecke auszunutzen. Deshalb wollen wir es nicht bei Behauptungen belassen.
Hier erzählen wir unsere Dynamo-Geschichten. Lesen Sie selbst, welche Erlebnisse und Ereignisse bei Ralf Böhme, Maurice Devantier und Tino Künzel von Kindheit und Jugend an eine enge Verbindung zu Dynamo geschaffen haben – in guten wie in schlechten Zeiten.
Ralf Böhme, Stadtrat und Fraktionsvorsitzender
Mal Rom, mal Nordhausen
Ich bin in Hörweite vom Dynamo-Stadion aufgewachsen. Wenn bei uns in der Mathildenstraße, damals Erich-Weinert-Straße, das Fenster offenstand, bekamen wir jedes Raunen und erst recht jeden Torschrei mit. Diese Geräuschkulisse empfand ich als toll und beeindruckend, denn mit Dynamo verband man immer positive Gefühle.
Wenn wir als Kinder draußen waren, was wir ja quasi ständig waren, dann guckte man natürlich auch nach den Autos. Und irgendwann haben wir festgestellt, dass Dynamo-Spieler durch unsere Straße zum Stadion fuhren. Die erkannte man schon daran, dass sie die besten Autos hatten. Natürlich keine Westwagen, sondern nur das Teuerste, was bei uns eben so verfügbar war. Ich erinnere mich noch an Matthias Sammer im Lada Samara. Für damalige Verhältnisse war das schon etwas Besonderes. Solche Privilegien hat man den Spielern aber nicht vorgehalten. Zumal einem auch damals schon klar war: Das sind keine Reichtümer, es ist nur ein Luxus Marke DDR.
In den 1980er Jahren, in die meine Schulzeit fiel, gab es dann auch viele denkwürdige Spiele, allein schon in der UEFA-Cup-Saison 1988/89. Ich weiß heute nicht mehr, wie ich an Karten für das Hinspiel gegen den AS Rom am 23. November 1988 gekommen bin. Aber das 2:0 auf Schneeboden war auf jeden Fall ein Riesenerlebnis. Anschließend bin ich irgendwie unbemerkt von der Tribüne in den Innenraum geklettert und durch den Spielertunnel geschlichen, bis ich letztlich neben Rudi Völler stand, als er ein Interview gegeben hat. So etwas vergisst man nicht.
Die Stimmung in dieser Saison war einfach unglaublich. Zum ersten Mal seit 1978 wurde Dynamo ja auch wieder DDR-Meister und spielte zudem plötzlich in der Riege der europäischen Fußball-Großmächte mit – das war Gesprächsthema Nummer eins in der Stadt und unter uns Jugendlichen sowieso.
Mit der Wende begann dann eine ganz andere Zeit. Die Zuschauerzahlen brachen ein und lagen selbst in den vier Jahren Bundesliga nur bei durchschnittlich 15.000 bis 16.000. Dann kam mit dem Lizenzentzug der Abstieg in die Drittklassigkeit, wo der Schnitt noch weiter absackte, bis er fast bei 3000 Zuschauern lag. In der Saison 2000/01, als wir sogar viertklassig waren, lockte ein Heimspiel gegen Wacker Nordhausen an einem Mittwochabend einmal 920 Besucher an. Einer davon war ich.
Der Zwangsabstieg hat mich Dynamo noch näher gebracht. Ich bin bis heute überzeugt, dass der DFB unseren Verein nicht im Profifußball haben wollte. Deshalb bin ich 1995 Dynamo-Mitglied geworden. Der damalige Präsident Rolf-Jürgen Otto hatte zwar einen Aufnahmestopp verhängt, um nicht abgewählt zu werden. Aber mein Antrag ging irgendwie noch durch. Ich wollte damit ein Zeichen setzen – für Dynamo und gegen den DFB.
Mit meinem Vater bin ich dann auch wieder öfter ins Stadion gegangen. In diesen tristen Jahren haben wir so ungefähr jedes zweite Heimspiel besucht. Damals ahnte noch keiner, dass es bis zum Aufstieg zumindest in die Zweite Bundesliga fast zehn Jahre dauert. Und dass Dynamo ab der Saison 2011/12 sogar mehr Zuschauer haben wird als zu den glorreichen Zeiten Ende der 1980er Jahre.
Teile des Auf und Ab der letzten Jahrzehnte habe ich nur aus dem Ausland verfolgen können. Jetzt freue ich mich auf ein neues Kapitel und hoffe sehr, bei dem einen oder anderen Heimspiel live dabei zu sein.
Maurice Devantier, Stadtrat
Pokalauftritt in „Schlafanzügen“
Das erste Fußballspiel, an das ich mich erinnere, war das 3:2 von Dynamo Dresden gegen den BFC Dynamo im Finale des FDGB-Pokals 1985. Es wurde bei uns zu Hause im Fernsehen geschaut. Mit meinen sechs Jahren verstand ich natürlich noch nicht die Tragweite dieses Sieges. Aber er musste wichtig sein, denn ich höre meinen Vater noch durch das ganze Haus brüllen.
Mein erstes Spiel im Dynamo-Stadion war das DFB-Pokal-Halbfinale gegen Werder Bremen 1994. Dynamo spielte unter Siggi Held eine verrückte Bundesliga-Saison und schaffte trotz Vier-Punkte-Abzug letztlich den Klassenerhalt. Im Pokal wurden unter anderem Bayern München und Bayer Leverkusen ausgeschaltet. Doch gegen Otto Rehhagels Werder Bremen, den amtierenden Meister und späteren Pokalsieger, war dann Endstation (0:2). Viele trauten schon ihren Augen nicht, als die Mannschaften einliefen. Was hatte Dynamo da für Klamotten an? Die sahen aus wie Schlafanzüge, vor allem wegen der karierten Hosen. Irgendwie hätte dieses Spiel auch einen Hallo-Wach-Moment gebrauchen können. Der kam aber nicht.
Und nach der darauffolgenden Saison ging es wegen des Lizenzentzugs gleich zwei Ligen runter. Dynamo war auch sportlich abgeschlagen Tabellenletzter. Das letzte Bundesliga-Heimspiel wurde gegen Bayern München knapp mit 0:1 verloren, vor ausverkauftem Haus. Ich war auch dabei, das hat man noch mal genossen.
Was folgte, waren finstere Zeiten in der dritten und vierten Liga. Ich habe viele Heimspiele im halbleeren Stadion miterlebt, das war schon teilweise unterirdisch. Umso mehr freut es mich, dass sich Dynamo aus dieser Misere herausgekämpft hat und nun in der Zweiten Bundesliga angekommen ist. Vielleicht geht es ja in absehbarer Zukunft auch wieder gegen Werder Bremen und Bayern München?
Tino Künzel, Leiter Öffentlichkeitsarbeit
Die Sache mit Sammer
Ich muss 13 oder 14 gewesen sein, als mein Traum von der Profikarriere bei Dynamo Dresden platzte. Wenn man so will, hat Matthias Sammer dabei kräftig mitgeholfen. Ich gehörte zu einigen Kandidaten für die Kinder- und Jugendsportschule, die zu einem Probetraining eingeladen waren – und sich in einem Trainingsspiel gegen den ein Jahr jüngeren Jahrgang von Dynamo beweisen durften. Als Torhüter vom Dorfverein BSG Chemie Ottendorf-Okrilla hatte ich es zuvor immerhin bis zur Kreis- und Bezirksauswahl gebracht, war also kein komplett hoffnungsloser Fall. Ein Riesentalent ist an mir aber wohl auch nicht verlorengegangen, was nicht zuletzt dieses Spiel auf einem Nebenplatz im Rudolf-Harbig-Stadion illustrierte.
Sammer, der schon damals als kommender Superstar galt, spielte auf der anderen Seite und hatte sichtlich Spaß daran, mir jeglichen Spaß zu verderben. Er haute mir drei Tore rein und lachte mich auch noch aus. Auszeichnen konnte ich mich kein bisschen.
Damals fühlte sich das natürlich beschissen an, zumal ich ahnte, dass die Chance nicht wiederkommen würde. Es war ohnehin schon die zweite. Auf geradem Wege hatte ich es nämlich nicht zur KJS geschafft. Meine Bezirksauswahl war 1979 lieber mit nur einem Torwart zur Kinder- und Jugendspartakiade nach Berlin gefahren, als mich – die Nummer zwei – mitzunehmen. Beim Trainingslager in der Oberlausitz muss ich vor den Augen von Walter Fritzsch, der für ein paar Stunden bei uns vorbeischaute, nicht wie der neue Bernd Jakubowski ausgesehen haben. Jedenfalls wurde ich mit zwei anderen aus dem Kader für die Spartakiade gestrichen. Weil dort die Entscheidung über die Aufnahme in die KJS fallen sollte, ich aber gar nicht erst dabei war, hatte sich das Thema für mich erledigt. Nur wollte ich mich damit nicht abfinden und trainierte stur noch ein, zwei Jahre weiter viermal die Woche, bis Sammer mir endgültig die Grenzen aufzeigte.
Weit hätte ich es vermutlich sowieso nicht gebracht. Und ich konnte immerhin Rache üben: Wenn ich schon nicht unter namhaften Trainern spielen durfte, so bin ich ihnen dafür später als Sportredakteur auf die Nerven gegangen, darunter auch Dixie Dörner, Reinhard Häfner, Hans-Uwe Pilz, Ralf Minge und Frank Lieberam.
Meine Liebe zu Schwarz-Gelb entbrannte übrigens erst so richtig, als ich zwischen Schule und Studium ein Jahr in Potsdam verbrachte. In dieser Zeit wurde Dynamo für mich zum Inbegriff für Heimat. Nach Uerdingen litt ich in meiner Fremde vielleicht noch ein bisschen mehr als andere und fand Trost in den Zeitungsberichten von Gert Zimmermann. Als unsere Familie dann nach Karl-Marx-Stadt umzog, wehte vor meinem Kinderzimmer-Fenster in einem der größten Plattenbaugebiete die Dynamo-Fahne, was nicht bei allen gut ankam. Und als im April 1989 halb Dresden vor der Galopprennbahn in Seidnitz Schlange stand, weil dort der Vorverkauf für das Europapokal-Halbfinale gegen den VfB Stuttgart stattfinden sollte, da war auch ich mit meinem Klappstuhl mittendrin.
Aber von solchen Erlebnissen können viele erzählen. Von Matthias Sammer zur Lachnummer degradiert worden zu sein, das habe ich mit nicht ganz so vielen Menschen gemein. Für ihn war es nur Training, für mich war es Schicksal.